Interview mit der Mentorin des Jahres 2020 Karen Schallert
Autor (Andreas Brüning):
Seit Mai 2020 ist bei iXNet auch das persönliche Mentoring-Programm online. Dieses Mentoring-Programm wird vom Hildegardis-Verein durchgeführt. Eine der Mentorinnen ist Karen Schallert. Am 21. September ist sie auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Mentoring zur „Mentorin des Jahres 2020“ gekürt worden – eine große Bestätigung für die zweite Karriere dieser selbständigen Coachin und Mentorin. Die studierte Amerikanistin, Literaturwissenschaftlerin und Erziehungswissenschaftlerin blickt bereits auf ein erfolgreiches Berufsleben zurück - als Angestellte, als Unternehmensberaterin und zuletzt als Personalleiterin in einem internationalen Industrieunternehmen. Dann kam die Diagnose Multiple Sklerose. Karen Schallert musste sich nun nicht nur beruflich behaupten, sondern auch in eigener Sache.
Karen Schallert (Das erste Mal im Rollstuhl ins Büro)
Dann hatte ich aber irgendwann mal einen richtig bösen Schub und musste dann wirklich von heute auf morgen mit dem Rollstuhl ins Büro. Ich erinnere mich noch, als ich mit meinem verstorbenen Mann – wir sind dann an dem Sonntag schon mal ins Büro gegangen, um zu gucken, wo da so die Hindernisse sind –, und dann bin ich am Montagmorgen also mit dem Rollstuhl reingerollt. Und das, was, was heftig war, war, dass die anderen nicht vorbereitet waren. Na, und ich konnte sie ja auch nicht vorbereiten, wie hätte ich es machen sollen? Ich erinnere mich, dass einer der Geschäftsführer hinter mir lief und merkte, ihm ist richtig, ja, der Kinnladen runtergefallen vor: Was mach ich denn jetzt mit ihr, oder wie gehe ich damit um, oder was sage ich? Also, so, es war dann meine Aufgabe, den anderen die Scheu zu nehmen, zu sagen: Es hat sich nichts geändert, ja? Ich bin immer noch Karin Schallert, ich habe nur ein bisschen Metall unterm Hintern. Ja, und ich muss vielleicht ein bisschen mehr fragen, aber letztendlich hat sich eigentlich nichts geändert.
Autor (Andreas Brüning):
Karen Schallert hat gelernt, was sich ändern musste und was nicht, wer sie früher war und wer sie immer noch ist, und vor allem: wer und was sie noch werden kann.
Karen Schallert (ein Studium im Rollstuhl befähigt auch zum Arbeiten im Rollstuhl)
Irgendwie geht’s. Ja, und ich bin eine Person, und das sehe ich eben auch bei denjenigen, die, die bis zu dem Punkt gekommen sind, dass sie gesagt haben: Ich will unbedingt als Akademiker in den Beruf. Ihr seid alle Kämpfernaturen! Wenn ihr es geschafft habt, das Studium wirklich mit Bravour hinzubekommen, dann ist das, dann ist der Beruf noch ein Schritt, aber eigentlich habt ihr alles gelernt, was ihr braucht. Also, würde ich sagen: Leg los, es ist alles gut. Ich habe es schließlich auch geschafft, ja? Alle haben es akzeptiert, dass ich im Rollstuhl bin, und wie eine Kollegin neulich noch sagte: Ja, ich hab Sie eh nie im Rollstuhl gesehen.
Autor (Andreas Brüning): (Arbeitseinstieg für Behinderte)
Sich als behinderte Akademikerin selbst gut ein zu schätzen und sich etwas zutrauen, ist die eine Seite. Aber wie sieht es auf der anderen Seite aus, dem Arbeitsmarkt? Wie ist dort die Einschätzung von Akademiker*innen mit Behinderung? Wie werden dort die Stellen vergeben? Und wie lässt sich da nachhelfen?
Karen Schallert (Umdenken auch bei Arbeitnehmern, mehr Selbstbewusstsein)
Ich glaube, ein bisschen Umdenken bei einem selber und beim Arbeitgeber ist sicherlich nötig. Aber dazu sind wir ja da, dass wir eben untereinander vernetzt sind und sagen können, also: Hier ist, zum Beispiel, ein Arbeitgeber, der hat jetzt überhaupt kein Thema mit der Behinderung oder, überleg mal, ob du das nicht anders verkaufen kannst. Also, deswegen ist, ist wirklich diese Vernetzung absolut notwendig und absolut hilfreich. Weil, ich selber, ich kannte in meiner, währen meiner vierzehn Jahre Führungskräftetätigkeit keinen einzigen Rollstuhlfahrer, ja? Und das Interessante ist, wo ich heute noch drüberfalle: Ich habe selber nicht drüber nachgedacht, dass wirklich bei euch das Potenzial liegt. Ja, dass ihr diejenigen seid, die, zum Beispiel, helfen können, den Führungskräftemangel zu beseitigen. Aber auch den Gedanken, wirklich bewusst auf euch zuzugehen und zu sagen: Hallo! Super! Kommt her! Ja? Unterstützt die Firma! Da bin ich selber nicht draufgekommen. Und ich glaube, das habe ich jetzt die letzten Monate, Jahre mir auf die Fahne geschrieben, zu sagen: Das, das darf anders werden, ja? Wir dürfen anders von uns selbst denken, und wir dürfen den Arbeitgebern was anderes signalisieren. Und dafür bin ich wirklich angetreten.
Autor (Andreas Brüning): (Was bringen Coaching/Mentoring)
Der Blick auf dieses „Andere“ ist bei Arbeitssuchenden wie bei Arbeitgeber*innen oft verstellt: durch Vorurteile, Gewohnheiten, mangelndes Zutrauen. Aber auch die fehlende Distanz der Betroffenen zu sich selbst ist ein Problem. Sich selbst in einem anderen Licht zu sehen, vermeintliche Schwächen in Stärken umzuwandeln, Potenziale zu erkennen, durchaus auch Leitungspotenziale – das gelingt oft besser im direkten Kontakt. Hier kommen Coaching und Mentoring ins Spiel.
Karen Schallert: (Bewusstseinsänderung, weg von Dankbarkeit)
Was auch wichtig ist, wo ich jetzt immer wieder drüber stolpere bei mir selber, dass ich mich selber als, sozusagen als jemand gesehen hab, dass der Arbeitgeber einen Nachteil hat, wenn er, dass er mich eingestellt hat. Also, bis ich wirklich gemerkt habe, im Gegenteil, dass eigentlich mein Arbeitgeber davon profitiert hat, das hat ewig gedauert. Das heißt, ich bin angetreten und war unendlich dankbar, dass ich überhaupt als Personalleiterin arbeiten konnte mit Rollstuhl. Und diese Dankbarkeit, -barkeit hat sich dann geäußert in: Ich bin extrem leistungsorientiert, ja? Das muss ich irgendwie zurückzahlen, deswegen arbeite ich noch härter, damit der Arbeitgeber eben diesen Nachteil nicht hat. Und jetzt, wenn ich jetzt zurückgucke, sehe ich: Das stimmte gar nicht. Und ich glaube, mit dem Bewusstsein rauszugehen und zu sagen: ich bereichere das Arbeitsleben durch meine Andersartigkeit, durch mein, ja, wenn ich, wenn ich als Akademiker da antrete, dann bin ich lösungsorientiert. Also, wenn man ein Handicap hat und jeden Morgen aufsteht und sagt: Du weißt, da habe ich zehn, zwölf Hindernisse, ja, will aber zur Arbeit, dann wird ich dafür sorgen, dass ich zur Arbeit komme, egal, wie groß das Hindernis ist. Das heißt, wir sind alle extrem trainiert, Hindernisse zu überwinden. Und das ist, glaub ich, was, was bei mir auch so ins Bewusstsein kommen musste und wo, wo ich sage: Das möchte ich als Mentorin und Coach weitergeben.
Autor (Andreas Brüning): (Coaching-Ablauf)
Wer sich auf ein Ziel zubewegen will, muss seinen Ausgangspunkt kennen. Mit der Standortbestimmung fängt es an beim Coaching und Mentoring. Wo stehe ich? Welche Sätze habe ich im Kopf? Glaube ich, zum Beispiel, dass Arbeitgeber*innen mir etwas Gutes tun, wenn sie mich anstellen? Weil sie ja eigentlich lieber jemanden ohne Behinderung genommen hätten? Dass sie mich nur nehmen, weil sie sozial sein wollen? Solche Gedanken stecken unbewusst in vielen Köpfen. Mit Hilfe von Coaching können sie erkannt und positiv gewendet werden. Aber zur Hilfe von außen muss die Selbsthilfe kommen: Die Coachees oder Mentees müssen und können den gemeinsam eingeschlagenen Weg dann selbst weitergehen. Aber, und das ist Karen Schallert wichtig, im jeweils eigenen Tempo, getragen von der eigenen Leidenschaft. Über den eigenen Tellerrand zu sehen ist die Leidenschaft der „Mentorin des Jahres 2020“, Karen Schallert.
Karen Schallert: (Fazit: Behinderte bereichern die Anderen)
Was mich immer gefreut hat, war, dass ich gemerkt habe, dass ich durch meine Andersartigkeit die Kollegen motivieren konnte, Dinge vielleicht anders zu sehen. Also, viele kamen dann und sagten: „Also, wenn ich Sie sehe, dann ist mein Problem eigentlich null und nichtig.“ Ja, dann kommt mir mein eigenes Problem so klein vor. Und dann schieb ichs eigentlich weg. Und zu sagen: Ich bin ein Geschenk für die anderen, weil ich anders bin. Und das ist eigentlich schön, ja? Ich darf die anderen durch, durch meine Andersartigkeit einfach nur bereichern.