Interview mit Dagmar Greskamp von der Aktion Mensch
Autor (Andreas Brüning)
Herzlich willkommen zum iXNet Projekt Podcast. Dagmar Greskamp ist ein europäisch denkender Mensch. Sie hat zunächst Sozialwissenschaften in Osnabrück studiert, dann Politikwissenschaften und European Studies in Warschau und Grenoble. Nach einem Praktikum bei der Europäischen Kommission in Brüssel hat sie als Projekt und wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet. Seit 2015 ist sie bei der Aktion Mensch als Expertin für Inklusion und Arbeit angestellt. Als Projektmanagerin hat sie am sogenannten Inklusion Barometer 2020 mitgewirkt und legt jetzt eine weitere Studie zu Inklusion am Arbeitsmarkt vor. Dagmar Greskamp hat eine Gehbehinderung. Inwiefern hat die Behinderung ihren Bildungsweg geprägt?
Dagmar Greskamp: (Der berufliche Werdegang)
Und eigentlich habe ich versucht, mich möglichst nie von irgendwas abhalten zu lassen. Also mein Vater war immer so ein bisschen vorsichtig und hat gesagt: Willst du nicht im öffentlichen Dienst und dahin und so? Und zum Glück haben meine Eltern mich dann immer unterstützt und haben mir keine Steine in den Weg gelegt. Und es war natürlich schon ein bisschen ein Abenteuer, sich dann auch vielleicht Hilfe zu organisieren oder Unterstützung. Insofern war ich da schon immer sehr ehrgeizig. Das ist das eine. Und mit dem Studium hat das auch alles sehr gut geklappt. Auch das Jahr, dass ich im Ausland war. Ich hatte mir dann damals extra ein Studium rausgesucht, wo ich ins Ausland musste, weil zu dem Zeitpunkt war es halt schwierig, eine Finanzierung zu bekommen für eine Assistenz, wenn man das eben nicht in der Prüfungsordnung hatte. Ja, und schwierig war eigentlich eher der Übergang in den Beruf, weil ich dann erst mal fünf Monate arbeitslos war. Wobei im Rückblick war das halt nicht lang. Und dann habe ich eben bei einem Projekt angefangen, beim Verein MOBILE e.V. zu arbeiten. Und schwierig war halt ehrlich gesagt dann auch nur, dass ich hier sehr lange nur Teilzeit gearbeitet habe, ungewollt. Also als ich dann meinen Sohn bekommen habe, da war es dann ganz gut, dass ich nur Teilzeit arbeitete, lange ungewollt. Aber ich habe halt das Ziel nicht aus den Augen verloren. Ich habe immer irgendwo in mir gespürt und gesagt: Da kommt noch was. Und ja, dann kam es und jetzt bin ich seit fünf Jahren bei Akte Mensch und habe eine Vollzeitstelle.
Autor (Andreas Brüning)
Aber was sind vielleicht die drei wichtigsten Aspekte, um als Behinderter Akademiker/ als Akademikerinnen selber aktiv zu werden, also proaktiv zu werden?
Dagmar Greskamp: (Zentrale Aspekte für ein erfolgreiches Berufsleben)
Es ist sehr wichtig, dass es etwas ist, was einem Spaß macht. Es gibt ja auch Leute, die mich immer wieder fragen: Ja, was soll ich denn studieren, damit ich später mal einen Job kriege mit der Behinderung? Oder auch sonst, sage ich: Studiere bitte das, was dir Spaß macht. Ja und guck nicht, ob du damit dann einen Job – Ja, natürlich kann es sein du studierst Archäologie – Man muss natürlich realistisch gucken, was kann ich und was kann ich erfüllen. Aber wenn du daran Spaß hast. Es bringt doch nichts, BWL zu studieren oder Jura, wenn du hinterher keinen Spaß hast, nur weil du denkst, du findest damit einen Job. Damit wird man nicht glücklich. Und das ist auch für das, wenn ich mir überlege, ich vernetze mich oder so. Dann kann ich überlegen, woran habe ich vielleicht Spaß, was könnte ich vielleicht machen? Und dann zu gucken: Das kann eine Nachbarschaftshilfe sein, das kann auch ein Verein sein. Ich kann auch in eine Partei gehen, ich kann alles Mögliche machen. Wir haben zum Beispiel auch bei der Aktion Mensch eine Ehrenamtsfreiwilligendatenbank, die man sich angucken kann und wo man ein freiwilliges Engagement finden kann. Und ich bin halt immer einfach irgendwo hingegangen und habe einfach mal mitgemacht und mich dann auch entsprechend vernetzt und gesagt wer macht hier was? Und vielleicht auch mal zu gucken, wie kann ich da reinkommen? Also die innere Haltung und sich aber auch jemanden zu suchen oder zu sagen, sich aber auch zu gestehen, wenn es einem dann mal schlecht geht oder es geht halt mal nicht, dann muss man gucken, dass man jemanden sucht, wo man sagt Jetzt, heute geht gar nichts. Und da macht man am nächsten Tag weiter. Also es ist nicht so, dass ja immer alles super läuft und man muss sich das dann auch sagen. Ich darf jetzt auch mal traurig sein. Ich darf auch mal wütend sein und ich darf einfach auch mal das jetzt alles blöd finden. Und dann ist es halt so und dann mache ich in zwei Tagen wieder weiter und bis dahin lenke ich mich mit irgendwas ab. Und manchmal entsteht dadurch total viel Neues oder viel neue Ideen. Manchmal auch dadurch, dass man Dinge einfach loslässt und sagt. Und dann kommen sie irgendwann wieder so zu einem zurück. Das ist, glaube ich, wichtig.
Autor (Andreas Brüning)
Du hast eine Studie jetzt in Gang gesetzt und die kommt jetzt. Die Ergebnisse werden jetzt bald rauskommen. Eine Studie über behinderte Frauen und ihre Arbeitsmarktchancen. Kannst du dazu schon was sagen, was das für dich jetzt ist oder was das mit dir gemacht hat? Diese Studie hierzu zu erstellen? Und vielleicht eine Frage, die mich interessiert. Hast du meine Annahme gehabt, wie es aussehen müsste? Und du hast jetzt ja Ergebnisse wie es sozusagen deine Ersteindruck und das Resultat der Studie? Passt das zusammen oder ist das deckungsgleich? Oder ist es für dich selbst sehr überraschend?
Dagmar Greskamp: (Bedeutsame Ergebnisse der Studie)
Also überraschend ist es eigentlich nicht, weil ich dieses Thema Frauen mit Behinderung ist schon lange so mein Steckenpferd. Ich habe auch viel Kontakt gehabt mit dem ersten Projekt, in den ich gearbeitet habe, im Netzwerk Frauen Mädchen mit Behinderung NRW und habe da auch ehrenamtlich mich engagiert. Und immer wieder versucht, auch das Thema aufzugreifen. Von da hat es mich jetzt sehr gefreut, dass wir die Studie gemacht haben. Im Grunde sind die Ergebnisse fast noch schockierender, als ich erwartet hatte. Also das es halt für die Frauen doch noch mal eine größere Benachteiligung gibt auch aufgrund des Themas „Behinderung“/ „Frau und Behinderung“. Das kumuliert sich dann eben an der Stelle. Ich finde ich es jetzt insofern gut, dass wir die Studie gemacht haben. Und ich habe auch schon mit Kolleginnen gesprochen, die gesagt haben:
„Ja, also wir wissen das irgendwie, dass das Frauen benachteiligt sind. Wir hören es immer wieder. Und es gibt auch ein paar Studien, aber es gab noch keine Studie, die speziell zum Thema Arbeitsmarkt und Frauen mit Behinderung und diesen Vergleich gemacht hat mit Menschen, mit Frauen und Männern ohne Behinderung.“
Und insofern bin ich froh, wenn wir da jetzt mal hingehen können und sagen können: Das ist die Situation. Was können wir jetzt tun, um die Situation von Frauen mit Behinderung wirklich zu ändern und zu verbessern? Also wie gesagt, erstaunt hat es mich jetzt nicht, aber ich bin echt froh, dass wir es gemacht haben. Es ist halt so, dass 27 % der Frauen, die wir befragt haben, haben halt ein Einkommen – persönliches Nettoeinkommen – von weniger als 1.000 € Monat. Das fand ich sehr viel. Wir haben auch einen viel höheren Anteil bei Frauen mit Behinderung, die Teilzeit arbeiten im Vergleich zu Männern und auch mit Behinderung, auch Frauen ohne Behinderung. Jetzt ist natürlich so 1.000 € weniger 1.000 € netto, wenn die in einer anderen Steuerklasse sind, dann hat man sowieso weniger. Aber es ist auch so, dass Frauen mit Behinderung im Vergleich in Haushalten leben, die ärmer sind. Also das Nettohaushaltseinkommen bei Frauen mit Behinderung, die wir befragt haben, liegt 400 € unter dem Nettoeinkommen von Männern mit Behinderung. Und das war halt schon. Das liegt zum einen daran, die Frauen sind da, leben häufiger alleine, geschieden, zum Teil auch verwitwet, – Jetzt nicht der große Teil – aber ein Teil. Und da ist es natürlich gravierend, wenn jemand alleine für sein eigenes Einkommen und dann weniger hat als 1.000 €, weil sich das natürlich auswirkt, auch auf alles mit Rente und so weiter und später. Es gibt aber auch viele Frauen, die Frauen sind auch deutlich stärker belastet, stärker belastet als Männer mit Behinderung, stärker noch belastet als Frauen und Männer ohne Behinderung und sagen eben: Ich kann vielleicht auch nur Teilzeit arbeiten oder arbeiten, eben auch größtenteils Teilzeit. Aber dann ist die Frage: Wie können sie und was kann man tun? Oder wie kann man sie unterstützen? Und was gibt es für Konzepte eigentlich für den Arbeitsmarkt? Das ist jetzt ein viel größeres Thema eigentlich jetzt, damit diese Frauen nicht in so eine Armut rutschen. Das ist das eine. Und das andere ist, dass die Frauen zum Beispiel auch sagen: Ich will ja gerne Weiterbildung machen. Ich will auch gerne weiterkommen, aber ich werde da nicht genug unterstützt. Und das haben einige Frauen gesagt. Wir haben ja auch qualitative Interviews gemacht, und da gibt es auch Aussagen Frauen, die sagen: „Ich muss mich immer um alles selbst kümmern“. Also es wird nicht so proaktiv, dass ich weiterkomme. Und das finde ich dann auch – Das ist sehr schade. – Und dass die Frauen das Potenzial nicht nutzen können. Und was auch eine starke Erkenntnis ist, ist wir haben in der Umfrage, wir haben ja etwas über 2000 Menschen befragt, und wir haben einen sehr hohen Anteil an Menschen, die die Behinderung von Geburt an haben, nämlich 23 % hatten wir in der Umfrage, was im Vergleich insgesamt sehr hoch ist. Und wir haben einen sehr deutlichen Unterschied, ob ich eine Behinderung erworben habe, also im späteren Leben, oder ob ich von Geburt an behindert bin. Bei den Menschen, die von einer Geburt an eine Behinderung haben, die haben viel häufiger auch keinen Schulabschluss. Und da ist natürlich von Anfang an die ganze Bildungsbiografie schon sehr viel schwieriger. Und das Ganze dann in Arbeit zu kommen oder überhaupt am Arbeitsmarkt dann Fuß zu fassen.
Autor (Andreas Brüning)
Sind auch behinderte Akademiker*innen jetzt speziell nochmal in der Studie abgefragt worden oder wie es für die aussieht? Oder ist Frauen jetzt an sich, sagen wir mal, ist die gesamte Zielgruppe jetzt befragt worden?
Dagmar Greskamp: (Berücksichtigung von Akademikerinnen)
Also wir haben schon nachgefragt nach dem Abschluss und da sieht man eben auch, dass Frauen mit Behinderung häufiger ein Abitur haben, aber seltener dann noch einen Hochschulabschluss. Also das haben wir schon befragt. Und eben auch seltener in Führungspositionen sind insgesamt. Da könnte man sicher noch mal in der Auswertung auch schauen. Aber wir haben jetzt nicht explizit Akademikerinnen befragt, sondern wir haben breit befragt. Aber man kann natürlich auch was ablesen daraus. Wir wollen die Daten auch gerne alle zur Verfügung stellen, dass man da noch mal das Matching macht und guckt, was verdienen jetzt die Akademikerinnen oder wie schneiden die eigentlich im Vergleich ab? Was ich noch sagen kann ist, dass auch in den Führungspositionen oder was die Einkommen betrifft, immer die Frauen mit Behinderung, also meist die Frauen mit Behinderungen haben immer das geringste Einkommen. Das Einzige, wo sie ein bisschen mehr Einkommen haben, ist, wenn sie selbstständig sind. Da haben sie ein bisschen mehr als Frauen ohne Behinderung. Und ansonsten haben sie immer weniger, auch in Führungspositionen. Und Führungspositionen, da setzt ja schon voraus, dass ich ein Studium habe oder dass ich mich weitergebildet und fortgebildet habe. Und das ist eigentlich dann auch nicht gerechtfertigt.
Autor (Andreas Brüning)
Gibt es im Fazit auch Empfehlungen, wie man oder wie die Gesellschaft, wie Arbeitgeber oder bestimmte Akteure, Frauen mit Behinderung jetzt unterstützen können, damit sie Empowerment werden oder auch bessere Arbeitsmarktchancen bekommen.
Dagmar Greskamp: (Fazit und Ausblick der Studie)
Also, es ist natürlich schon so, dass sowohl die Menschen mit als auch die Menschen ohne Behinderung gesagt haben, dass es eine immer höhere Belastung gibt am Arbeitsmarkt. Wie kann man eigentlich? Wir haben zum Beispiel auch eine sehr hohe Anzahl an Frauen, die wir in der Umfrage erreicht haben, die eine psychische Erkrankung haben. Also da muss man ja fragen, was war zuerst da die psychische Erkrankung oder der Stress am Arbeitsmarkt? Also es ist so eine generelle Frage. Und wir können natürlich nicht sagen, also das ist auch das, was wir im Fazit sagen: Es gibt nicht die Frau mit Behinderung, sondern man muss eben individuell schauen und individuell gucken. Und ich denke, das ist heutzutage immer noch sehr schematisch, auch mit der Förderung, mit der Unterstützung. Und das wäre gut. Und wichtig ist auch eine gute Kommunikation. Also dass man miteinander im Gespräch bleibt, mit Arbeitgebern und man muss natürlich auch ehrlich zu sich selbst, also überhaupt ehrlich sein, und nicht, das finde ich halt wichtig, und sagen: Was kann ich und wie kann ich das machen? Also flexible Arbeitszeitmodelle und Weiterbildungsmöglichkeiten, die dann auch barrierefrei sind, die müsste man eben schaffen. Das würde auch zu einer höheren Zufriedenheit führen. Also eine Frau, die sagte auch: „Naja, wenn es mir halt nicht so gut geht, ich habe komplett flexible Arbeitszeiten, ich kann auch erst um zehn anfangen.“ Dann ist das natürlich einfach auch eine Sache, wie kann ich meinen Arbeitsalltag organisieren? Das geht sicher nicht in jedem Betrieb und in jedem Arbeitsverhältnis Ja, aber da zu schauen, was, was gibt es eigentlich für Möglichkeiten, damit ich da auch dann mit meiner Behinderung noch gesund bleibe so, den Job weiter ausüben kann. Also das sagen die Frauen auch in der Umfrage, die wir gemacht haben, dass sie sagen, das müsste einfach sich auch noch mal von den gesetzlichen Grundlagen her ändern. Oder es müsste weniger kompliziert sein. Oder man müsste eben einfacher da reinkommen und mehr Aufklärungsarbeit betrieben werden. Ich glaube, dass das wirklich die individuelle Unterstützung und das betrifft auch Menschen ohne Behinderung oder jeder Mensch kann eben krank werden im Laufe seines Lebens und eine Behinderung der Erkrankung erwerben. Wie können wir eigentlich, wenn wir wirklich inklusiv arbeiten, das zusammen gestalten und einen Arbeitsplatz oder Arbeitsplätze einrichten und schauen, wenn es nicht mehr da geht, was kann ich dann machen? Und das finde ich schon sehr wichtig. Und es gibt aber immer diese Verwertbarkeit. Also wie verwertbar ist ein Mensch? Und das finde ich einen völlig falschen Ansatz. Also zu sagen, was kann jemand, was möchte jemand auch geben und kann er geben und dann auch entsprechend die Unterstützung bereitzustellen und nicht zu gucken: Naja, der kann jetzt noch so viel. Also man wird da schnell in Raster gesteckt. Ich denke dran, dass glaube ich, die Schwierigkeit daran und dass man auf die Fähigkeiten guckt der Menschen und nicht auf Defizite. Das wird immer noch so häufig gemacht, dass man sagt, ja, das ist halt eine Behinderung und das ist halt ein Defizit. Und dann heißt es: Trotz seiner oder ihrer Behinderung macht sie das und das. Wo ich denke, ich möchte es eigentlich anders haben. Ich möchte eine Beschreibung haben von mir oder von dem Menschen in der Welt, die anfängt zu sagen, dass ist Frau X. Frau X ist eine hervorragende Rednerin. Sie tanzt in ihrer Freizeit gerne. Ach und übrigens und weil sie halt nicht so nicht sehen kann, bewegt sie sich mit einem Blindenstock durch die Gegend. Das wäre für mich eine positive Beschreibung eines Menschen und die gibt es einfach viel zu wenig. Und dazu kommt eben auch, dass die Unterstützung eben häufig gekoppelt ist an die Berufstätigkeit, also ein Großteil der Unterstützung und es dann die Unterstützung in anderen Bereichen nicht gibt. Also wenn ich nicht arbeite, bekomme ich auch den Umbau an meinem Auto nicht finanziert, wenn ich einen Rollstuhl nutze und das Auto umgebaut haben muss. Das ist so was, wo ich sage, das geht nicht. Klar, jeder muss sich ein Auto kaufen, wenn ich dann nicht den Zuschuss vom Auto kriege. Aber wenn dieser Umbau eben zusätzlich was kostet. Ich finde, es sind Behinderung bedingte Nachteilsausgleiche, die einfach übernommen werden sollten. Da gibt es eine ganze Menge an Beispielen, die will ich jetzt gar nicht auswalzen, aber es ist eben häufig an die Erwerbstätigkeit gekoppelt und das finde ich auch nicht gut.
Autor (Andreas Brüning)
Das war die Projektmanagerin Dagmar Gresamp im Gespräch mit Andreas Brüning für iXNet, Anfang März 2021.